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Geistliches Üben

Grundgedanken zum geistlichen Üben

Das geistliche Üben ist eine in wesentlichen Punkten andere Weise, unbekannte Werke einzuüben, als weithin gelehrt und praktiziert wird. Hier möchte ich Ihnen einige wesentliche Gedanken vorstellen, ausgehend von der Aussage des Apostels Paulus: "Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Friede, Freude, Sanftmut, Geduld, Freundlichkeit und Selbstbeherrschung" (Galater 5, 22).

Liebe

Mit Liebe ist hier natürlich nicht die erotische Liebe gemeint – oder vielleicht doch? Letztlich unterscheidet sich die Liebe zur Musik und zum Musizieren nicht wirklich fundamental von der erotischen Liebe. Ich lasse die Frucht von Inspiration und Kreativität eines mir in der Regel wildfremden Menschen, der womöglich schon seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten tot ist, näher an mich und meine Seele, werde damit womöglich sogar auf vielen Ebenen „intimer“ als je mit einem real existierenden Freund oder Lebenspartner. Trotzdem haben meiner Erfahrung nach viele junge Musikerinnen und Musiker, aber auch „alte Hasen“ irgendwann einmal den Punkt erreicht, wo sie die einstmals vorhandene Liebe zur Musik nicht mehr spüren, wo das Feuer erloschen scheint – wie im Klischee des seit Jahrzehnten verheirateten Ehepaars, bei dem „im Bett“ schon lange nichts mehr läuft, man aber aus Gewohnheit noch nebeneinanderher lebt, ohne wirklich noch etwas zu empfinden.

Wann ist hier das Feuer erloschen und warum?

Das Feuer der Liebe zur Musik kann durch tausend Dinge erstickt werden: durch die Lebensumstände, durch Menschen, die einem nicht guttun und Energie oder Frieden rauben, durch zu viel (Erfolgs-)Druck, durch ent-emotionalisierende Umstände, also das Gefühl, nur noch „funktionieren“ zu sollen, grundsätzliche Infragestellung des Sinnes des eigenen Musizierens, Ängste (vor Fehlern, vor Versagen…) usw.

Jeder Mensch hat hier seine eigenen „Baustellen“, und nicht selten sind das dann Angelegenheiten der Psychologie oder der Supervision, die sich dann aber doch auch gerne in die Gottesbeziehung mit einschleichen und dort nur zu gerne stören und zu Glaubenszweifel, der Flucht in Religionsersatz oder den Versuch, alles Transzendente über den Verstand zu erfassen, führen.

Wirklich lieben zu können, ist eine Gnade, die die Bereitschaft erfordert, quasi seelisch „blank zu ziehen“ und sich in die Hände Gottes fallen zu lassen. Man kann nur gewinnen.

Friede

Liebe und Friede bedingen einander. Ohne Friede keine Liebe, ohne Liebe kein Friede. Friede als Seelenzustand ist Grundvoraussetzung für das Üben überhaupt, für geistliches Üben allemal. Wer in sich Unfrieden hat, wird wenig Erfolg haben – und kaum geistliche Inspiration bekommen. Quellen des Unfriedens gibt es viele: weltliche Verpflichtungen, Dinge, die man noch tun wollte und nach dem Üben vergessen haben könnte, das Telefon, die Türklingel, materielle Sorgen, Stress mit Mitmenschen … Jeder kennt diese Liste und kann sie sicher nahezu unendlich verlängern.

Neben dem rein weltlich-praktischen Tipp, sich Dinge vor dem Üben aufzuschreiben, das Telefon stumm- und die Klingel auszuschalten, habe ich mir angewöhnt, vor einer Übesitzung bewusst eine Grenze zu überschreiten: die Grenze zwischen Welt und Geist; ich betrete sozusagen bewusst das „Haus Asaph“ als geistlichen Ort, der allen weltlichen Dingen entzogen ist. Vorher befehle ich all diese den geistlichen Frieden störenden Dinge Gott an und bitte um geistliche Abschirmung und Geistes-Gegenwart beim Üben. Auch dieses Vorgehen ist letztlich Übungssache.

Friede ist aber nicht nur innerer, weltlicher Friede, sondern auch Friede mit Gott. Quälende „Warum“-Fragen, Ängste – auch solche vor der Musik! –, Zweifel an Gott und/oder an sich – auch hier ist die Liste lang. Unfriede ist letztlich Trennung von Gott – was keine Schuldzuweisung ist, sondern eine Tatsache, die nur im Gebet und völliger (!) Hingabe an Gott zu überwinden ist. Niemand hat etwas zu verlieren, wenn Sie es versuchen. Geben Sie Ihren inneren Kampf an Gott ab – und versuchen Sie, diesen bei IHM zu lassen.

Freude

Auch die Freude ist untrennbar mit der Liebe verbunden. Wo keine Liebe ist, kann vielleicht Spaß sein, Freude aber nicht. Spaß – das ist das Strohfeuer vermeintlicher Freude, die kurzfristige Ablenkung. Spaß muss nicht schlecht oder moralisch fragwürdig sein, aber er ersetzt keine Freude. Mir kann es Spaß machen, ein bestimmtes Stück zu spielen, oder weniger Spaß. Über die grundsätzliche Freude an der Musik sagt das nichts aus. Der Spaß ist wetterwendisch, die Freude eine Konstante.

Die Freude ist, wie Liebe und Friede auch, unbedingte Grundvoraussetzung des geistlichen Übens und Musizierens. Sie ist aber genauso empfindlich gegenüber weltlichen Störfaktoren. Nur wo Friede und Liebe sind, kann sich die Freude entfalten, ja sogar regelrecht Bahn brechen. Die Freude, gerade die sprichwörtliche „Spielfreude“, ist es, was das Publikum bzw. die Gemeinde spürt und ansteckt. Dabei ist es völlig unerheblich, ob der Charakter des Stückes gerade fröhlich, meditativ, schmerzvoll oder sonstwie ist. Spielfreude ist eine emotionale Grundhaltung.

Wie steht es um Ihre Spielfreude? Ist sie nach wie vor da oder zumindest „bei Bedarf“ abrufbar? Oder ist sie abgetötet worden – durch Zeitdruck beim Üben, „komische Stücke“, merkwürdige Kolleginnen und Kollegen, Konkurrenzdruck, Prüfungsangst, durch Reduktion des Musizierens auf das Funktionieren?Wenn sie nicht mehr da ist: Wann oder wodurch ist sie verlorengegangen? Erinnern Sie sich noch, wie das war, als Musik Ihnen Freude gemacht hat?

Freude – das ist Hingabe an wunderschöne Stimmführungen, an interessante Harmonien, beeindruckende Strukturen, das ist Bewundern und Staunen, ein Einswerden mit der Komposition, das Gefühl der Erfüllung in der Rolle des jedesmal-neu-geboren-Werdens eines Werkes beim Üben und erst recht bei einer Aufführung.

Freude ist aber leider in der Regel kein Kriterium in der musikalischen Ausbildung und auch nicht im professionellen Musikbetrieb – außer, sie lässt sich irgendwann gut vermarkten.



Liebe, Friede und Freude – das sind die drei Eckpfeiler des geistlich-Seins und damit auch des geistlichen Musizierens.

Mit ihnen einher gehen noch andere Früchte des Heiligen Geistes: Sanftmut, Geduld, Freundlichkeit und Selbstbeherrschung.

Sanftmut

Eine Komposition lässt sich, wenn sie kein ausgesprochenes Blattspielstück ist, nicht im Sturm erobern; zumindest wird man ihr damit in der Regel nicht gerecht. Aus Liebe, Friede und Freude folgt, dass ich das Werk nicht „ins Hirn prügeln“, sondern wie den Körper eines geliebten Menschen sanft erkunden möchte. Ich gehe dabei nach dem „Disko-Prinzip“ vor: anschauen, ansprechen, anfassen.

In der Tat ist meine erste Begegnung mit einem unbekannten Stück in der Regel mit den Augen. Auf diesem Weg offenbart es mir seine Strukturen: Stimmführungen, Parallelstellen, Variationen, Sequenzen, Harmonien, vielleicht sogar schon seine Dramaturgie.

Natürlich, so mag man einwenden, ist das kein spezifisch geistliches Vorgehen. Richtig, dazu reichen Erfahrung, Wissen und ein scharfer Verstand. Und dennoch übersieht man alleine mit diesen nicht selten winzige Veränderungen in scheinbaren Parallelstellen, fallen interessante Ideen, Mikro- oder Superstrukturen nicht sofort auf oder Ähnliches. Hier Gott zu bitten, Erkenntnis zu offenbaren, ist sicher kein Fehler – die Gegenprobe kann man nie machen.

Wenn mich das Stück dann anspricht, entwickelt sich meist – wie im richtigen Leben – der Moment des „Anfassens“ ganz von selbst: Ich will wissen, wie sich „das Objekt der Begierde“ anfühlt: Ich spiele zunächst einzelne Passagen, die sich mir bereits offenbart bzw. erschlossen haben, langsam an oder sogar durch, und nehme mir dann auch gleich die Parallelstellen, falls vorhanden, vor. Dabei spielt nicht nur die Langsamkeit eine Rolle, sondern eben auch die Sanftmut. Ich haue nicht rein wie ein Berserker, sondern ich taste mich buchstäblich heran, erforsche die Tasten, die Bewegungsabläufe, und genieße diese in einer ganz eigenen Form von Zeitlosigkeit – man könnte auch Ewigkeit dazu sagen. Meistens dauert diese „Ewigkeit“ nur wenige Minuten, aber sie ist dennoch völlig entkoppelt von jeglichem normalen Zeitempfinden, ein langgedehnter Moment des liebevoll-erforschenden Genießens, in das nur gelegentlich der Verstand als Korrektiv im Auftrag des Notentextes eingreift. Liebe kennt keinen Zwang, keinen Erfolgsdruck, keine Versagensangst. In der Sanftmut des ersten Kontakts mit dem Stück wird die Liebe buchstäblich „greifbar“. Sollte man sich dabei einmal „ver-greifen“, wird man vom Werk nicht verstoßen, sondern liebevoll korrigiert und weiß zukünftig, auf welche Stellen es besonders aufzupassen gilt – die Parallelen zur menschlichen Erotik sind augenfällig, wenngleich vielleicht den einen oder anderen im geistlichen Kontext unangenehm oder sogar ungehörig erscheinend. Ich stehe zu diesem Vergleich.

Geduld

Liebe braucht Zeit. Insofern kann das übliche „ins Hirn hämmern“, das sich nicht selten in sechs- oder achtstündigem Üben pro Tag zeigt, nicht zum Ziel führen. Es ist schrecklich zu erleben, mit welcher seelischen Gewalt Menschen zu Üben gezwungen werden - oder sich selbst zwingen. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die von ihren Eltern zum Üben eingesperrt wurden. Daraus resultieren Dressierte, aber keine Musiker; zumindest braucht es dazu dann noch einen weiteren, autonomen und sehr grundsätzlichen emotionalen Entwicklungsschritt.

Keine Zeit zu haben, ist die Mutter von Angst und Panik. „Dieses Stück schaffen Sie sich bis nächste Woche drauf“, „Wenn Sie das bis übermorgen nicht können, nehmen wir jemand anderen“ – welcher Student oder Profi hat das nicht schon erlebt. Aber auch auf laien- und Amateurebene ist das keine Seltenheit. Wer schon einmal die Panikzustände oder die Auftrittsängste nebenamtlicher Organisten erlebt hat, vor allem, wenn Lieder spät durchgegeben wurden oder komplizierte Sätze zu bewältigen sind, weiß, wovon ich rede. Keine Zeit für das Studieren eines Werkes zu haben, ist auf ideeller Ebene fast so wie eine von heute auf übermorgen angeordnete Zwangsheirat mit einem unbekannten Menschen. Das KANN gutgehen, wird es aber in der Regel nicht – außer ein Teil unterwirft sich der Macht des anderen.

In der Realität hat man aber oft keine oder nicht genug Zeit. Dann ist es aber immer noch besser, so zu tun, als habe man sie, und mit Geduld und Sanftmut an das Stück herangehen. Wer nicht erst langsam laufen lernt, braucht gar nicht ans Rennen zu denken.

Aber auch noch in anderer Hinsicht ist Geduld ein wichtiger Faktor. Manche Stellen sperren sich beim Üben oder haben so das gewisse „das schaffe ich nie“ an sich. Auch hier ist Geduld gefragt – gepaart mit Sanftmut. Nur durch Liebe und Geduld ent-schließen sich irgendwann auch die sperrigsten Stellen.

Freundlichkeit

Freundlichkeit ist nun der zwischenmenschliche Aspekt, der aus allem Vorgenannten folgt. Freundlichkeit bedeutet nicht „der Klügere gibt nach, um Streit zu vermeiden“ oder gar Duckmäusertum. Freundlichkeit erweist sich im Umgang mit Kollegen, aber ganz besonders im Ensemblespiel. Fundament der Freundlichkeit sind wiederum Liebe und Friede. Wir sagen oft, dass die „Chemie“ stimmt – oder eben nicht. Freundlichkeit ist die Fähigkeit, im Namen Gottes Unstimmigkeiten beizulegen, sich zu einigen, sich nicht selbst als Maßstab zu nehmen, keine Angriffsflächen zu bieten – und sich gegebenenfalls neue Partner zu suchen, mit denen mehr Friede möglich ist.

Selbstbeherrschung

Das zugrundeliegende griechische Wort wird oft mit „Keuschheit“ übersetzt, was jedoch nur einen Bruchteil der Bedeutung erfasst. Selbstbeherrschung oder Selbstdisziplin kommen dieser deutlich näher. Und in der Tat ist auch diese zum Üben unabdingbar. Wer keinen Plan hat, keine Struktur, sich von „wohligen“ Stellen oder Stücken hinreißen lässt, nichts anderes mehr zu üben, wer nur nach dem Lustprinzip übt, wird keine Erfolge erzielen. Merkwürdigerweise ist oft auch die Liebe zur und die Freude an der Musik keine ausreichende Motivation, sich konkret Zeit zum Üben zu nehmen. „Ich mach ja gleich, aber zuerst muss ich noch schnell …“ – wer kennt das nicht, und all die tausend Dinge, die „nur noch schnell“ vorher erledigt werden mussten, „damit man sie aus dem Kopf hat“, führen dann letztlich dazu, dass man keine Zeit mehr hat und wieder ein Tag ohne Üben vergangen ist. „Aber morgen dann ganz bestimmt …“

Was wie eine Frage nach ganz gewöhnlicher Selbstdisziplin klingt, bekommt unter geistlichem Blickwinkel noch eine andere Bedeutung. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ – dieser Satz aus der Apostelgeschichte (5,29) kann hier als Mahnung verstanden werden, nicht die den Geist überwuchern wollenden Dornen des Alltags in den Vordergrund zu stellen, sondern das Geistliche – in diesem Fall das Üben. Natürlich muss das Weltliche auch getan werden – weder Einkäufe noch Steuererklärungen oder das Spülen des Geschirrs erledigen sich während des Übens oder durch Gebet. Aber allzu leicht wird Weltliches zum Grund, Geistliches sein zu lassen – Vorsicht mit Augenmaß!

Darf es Fehler geben?

Fehler passieren, aber es gibt sie nicht.

Die Angst vor Fehlern – meistens handelt es sich dabei um technische Fehler – kann sich zu regelrechten Spielhemmungen bis hin zur völligen Berufsunfähigkeit steigern. Was steckt dahinter?

Der Fehler ist, Fehler als Qualitätskriterium zu erlauben. In einer Welt, in der alles nicht Perfekte keine Existenzberechtigung mehr zu haben scheint, sind Fehler oft ein berufliches Todesurteil. Das fängt bei Aufnahmeprüfungen an und hört bei Bewerbungsvorspielen noch lange nicht auf. Doch was gibt dem Faktum „Fehler“ solche Macht?

Wir empfinden Zuhörende oft als eine Art Scharfrichter, die nur darauf warten, dass wir uns irgendwo vergreifen, danebenlangen, den Faden verlieren, plötzlich nicht mehr wissen, wo wir sind, und dann mit unverhohlener Häme im Gesicht unser künstlerisches Todesurteil sprechen – und nicht selten tatsächlich in der Position sind, dieses auch zeitnah zu vollstrecken. Ich habe das selbst erlebt.

Die Angst vor Fehlern führt aber oft erst zum Fehler. Das Gehirn kennt kein „Nein“. In dem Moment, indem wir uns bewusst machen, dass wir jetzt keine Fehler machen dürfen, nimmt das Gehirn nur „Fehler“ wahr – und schon ist er passiert.

Bei Gott gibt es aber keine unverzeihlichen Fehler. Nachdem unser Musizieren Gebet ist, geheiligtes Beziehungsgeschehen zwischen Gott und uns, spielen Fehler darin keine Rolle. Wenn wir auf dem Weg des geistlichen Musizierens so weit fortgeschritten sind, dass der „Fehler“ als Kategorie künstlerischer Qualität in unserem Denken überhaupt nicht mehr vorkommt, ist der Weg zur technisch bestmöglichen Variante frei – aber eben nicht zu einer Perfektion durch Dressur und Angst, sondern durch intensive Liebes- und Gottesbeziehung.

Für diesen Weg steht das Haus Asaph.

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